Marktheidenfeld
Die Entwicklung zur Stadt
Die Anfänge Marktheidenfelds sind im 8. Jahrhundert anzunehmen. Der Ort wurde schon früh dem damals soeben gegründeten Kloster Holzkirchen unterstellt. Mit diesem kam er schließlich an die von Bonifatius gegründete Abtei Fulda. Gegen Ende des 13. Jahrhunderts gelangte Heidenfeld, wie Marktheidenfeld Jahrhundertelang hieß, in den Besitz der Grafen von Wertheim.
Nach dem Aussterben der Wertheimer Grafen in Mannesstamm, sicherte sich das Fürstbistum Würzburg in den Auseinandersetzungen der Erben 1612 das als würzburgisches Lehen anerkannte Heidenfeld. 1803 kam es vorübergehend, 1814 endgültig zum bayerischen Staat. Das Marktrecht besaß Heidenfeld wohl schon seit dem 14. Jahrhundert. Im 17. Jahrhundert wurde die Markteigenschaft dann amtlich zum Namensbestandteil.
Mit der Verlegung des Amtes Homburg nach Marktheidenfeld begann der Aufstieg des ehemaligen Fischerdorfes zum Amtsstädtchen und Bezirksmittelpunkt. Bis zur Gebietsreform 1972 war Marktheidenfeld Sitz der Landkreisverwaltung und vieler staatlicher Behörden. Von großer Bedeutung für die Entwicklung des Ortes war im letzten Jahrhundert der Bau der Mainbrücke (1839-1846), durch den es an die wichtige Lebensader des Verkehrs, die große Post- und Handelsstraße Nürnberg – Würzburg – Frankfurt angeschlossen wurde. Dazu kam dann noch im Jahre 1881 der in gleicher Weise wichtige Anschluß an das Eisenbahnnetz.
Schon vor dem Zweiten Weltkrieg hatte sich die Stadt über die alten Stadtgrenzen hinaus erheblich vergrößert. Durch das Einströmen ausgebombter und heimatvertriebener Landsleute aus Ost und West nahm die Einwohnerzahl stetig zu. Eine großzügige Baulandumlegung schuf die Grundlage für eine weitere große Ausdehnung der Stadt, die mit Eingemeindungen heute ca. 11.700 Einwohner zählt.
Mit der geschichtlichen und wirtschaftlichen Entwicklung der jetzigen Stadt Marktheidenfeld ist die Geschichte der Evangelisch-Lutherischen Kirchengemeinde aufs engste verknüpft.
Marktheidenfeld zur Zeit der Reformation und Gegenreformation
Seit Ende des 13. Jahrhunderts gehörte „Heidenfeld“ zu den reichsfreien Grafen von Wertheim, die sich zwischen den geistlichen »Großstaaten« Kurmainz und Würzburg – trotz verschiedener Landverluste – bis in die napoleonische Zeit behaupten konnten. Mit einem Teil ihrer im Waldsassengau gelegenen Güter befanden sich die Grafen im Lehensverhältnis zum Bistum Würzburg. Gleichwohl besaßen die Grafen auf Grund kaiserlicher Befugnisse in diesen Besitzungen oberrichterliche Gewalt. Diese politisch unklaren Verhältnisse sollten in der Folgezeit immer wieder zu großen Streitigkeiten mit den Bischöfen von Würzburg führen.
Graf Georg II., der mit seinem Vater 1521 auf dem Reichstag zu Worms Martin Luther kennengelernt hatte, war nach seiner Rückkehr entschlossen, in seiner Grafschaft die Reformation einzuführen. Im Jahre 1522 bat er Luther um einen evangelischen Prediger für Wertheim. 1524 erging an alle Pfarrer der Grafschaft folgender Befehl: »auch sollen infüro alle Pfarrherren, den das Wortt Gottes in der Graveschaft Wertheimb zu predigen befohlen ist, dem volck getreulich das Evangeliom und die lehr Christi unsers seligmachers lauter, rein und christlich predigen«. Da Graf Georg ein frommer und vornehm denkender Mann war, verlangte er, dass dennoch weiterhin seinen katholischen Untertanen größte Toleranz gegenüber geübt werden sollte.
Im Jahr 1527 kam der erste evangelische Pfarrer, Peter Hunerbüchler (oder Hönerbuhel) nach Heidenfeld. Der Graf hatte den Fruchtzehnten der geistlichen Chorstiftung in Wertheim zur Verfügung gestellt, mit der Auflage, zu Heidenfeld Pfarrer, Kirche und Pfarrhaus zu unterhalten.
Graf Michael, Georgs Sohn, der in Wittenberg studiert hatte und die Freundschaft Luthers und Melanchthons genoss, führte das Werk des Vaters weiter. 1531 wurde in allen Kirchen der Grafschaft das Bekenntnis der Evangelischen, die Augsburgische Konfession, verlesen. Inmitten großer Entwürfe aber starb Michael III. als der letzte Sproß dieses „alten und löblichen Geschlechts“ im Jahre 1556.
Seit Einführung der Reformation in der Grafschaft Wertheim wurden die Kämpfe mit dem Bistum Würzburg, an dessen Spitze seit 1573 der Fürstbischof Julius Echter stand, immer erbitterter. In den folgenden Jahrzehnten kamen die unsicheren Erbschafts- und Regierungsverhältnisse in Wertheim dem Bistum Würzburg zu Hilfe: Von dem verstorbenen Michael III hatte dessen Schwiegervater Graf Ludwig von Stolberg vorübergehend die Regierung übernommen. Dessen Tochter, die Witwe Michaels, heiratete nun in zweiter Ehe sechzigjährig den katholischen Freiherrn von Krichingen.
Von Julius Echter überredet und in jeder Hinsicht unterstützt, erhob dieser, ursprüngliche Vereinbarungen missachtend, immer heftigere Ansprüche auf die Würzburger Lehen der Grafschaft und brach schließlich die so genannte »Würzburger Fehde« (1598-1617) vom Zaun. Im Jahre 1612, nach dem Tode des kinderlosen Ehepaares Krichingen, zog Julius Echter den ganzen linksmainischen Wertheimer Besitz für das Hochstift Würzburg ein. Resigniert stellt die Beschwerdeschrift der Wertheimer fest: „Maior minoris esca“, auf deutsch: „Der Große frißt den Kleinen“. Nun ist das konfessionelle Schicksal von Heidenfeld, Lengfurt, Erlenbach, Karbach und zwölf weiteren Orten für längere Zeit besiegelt. Über 87 Jahre hinweg war Heidenfeld evangelisch gewesen. Der letzte evangelische Pfarrer, Elias Taschner, wurde 1612 vertrieben.
Julius Echter gebot den Heidenfeldern, einen neuen Pfarrhof und eine neue Kirche zu bauen. Sie leisteten passiven Widerstand. Der Amtskeller von Homburg, der im Auftrag des Fürstbischofs nach dem Stand der Bauarbeiten sehen sollte, konnte seinem Herren keine gute Nachricht geben, die Heidenfelder, so heißt es in einer Quelle, »waren in den 87 Jahren ihres Luthertums so eifrig geworden, dass sie nicht ohne weiteres wieder katholisch werden wollten«. Besonders hartnäckig sollen die Frauen am evangelischen Glauben festgehalten haben. Die Einwohner, die an ihrem evangelischen Glauben festhalten wollten, mussten Heidenfeld verlassen. Allein neun Familien zogen z.B. nach Remlingen.
Im Dreißigjährigen Krieg gab der siegreiche Schwedenkönig Gustav Adolf dem Grafen Löwenstein von Wertheim die von Julius Echter eingezogenen Lehen wieder zurück, darunter auch das Dorf Heidenfeld. Nach der Eroberung Würzburgs kam Gustav Adolf persönlich nach Wertheim (1631), wo er von der Bevölkerung mit großem Jubel empfangen wurde. Der Graf von Wertheim sorgte rasch dafür, dass Heidenfeld wieder einen lutherischen Prediger bekam. Doch schon nach der Niederlage der Schweden bei Nördlingen im September 1634 mußte er vor den kaiserlichen Truppen fliehen.
Die Evangelisch-Lutherische Diasporagemeinde Marktheidenfeld
Wahrscheinlich wohnte mehr als 200 Jahre kein evangelischer Christ mehr in Marktheidenfeld. Im Zuge der politischen Neuordnung in Bayern am Anfang des 19. Jahrhunderts, die für die Protestanten die Gleichberechtigung brachte, wurden mit Absicht evangelische Beamten und Angestellte in die staatlichen Stellen Marktheidenfelds versetzt. Sie sollten wegen ihres anderen Glaubens nicht so schnell Wurzeln fassen und leichter wieder versetzbar sein. Diese Rechnung des bayerischen Königs ging nicht auf: Den evangelischen Beamten gefiel es so gut in Marktheidenfeld, dass sie blieben.
Als im Zusammenhang mit dem Eisenbahnbau (1879-1881) zudem noch eine größere Anzahl von evangelischen Arbeitern nach Marktheidenfeld kam, bildete sich wieder eine kleine Gemeinde. Sie hatte es inmitten einer katholischen Umgebung nicht leicht. Um an einem evangelischen Gottesdienst teilzunehmen, musste man zu Fuß den weiten Weg nach Remlingen oder Michelrieth zurücklegen. Die Toten mussten an einen dieser Orte oder in die Heimat überführt werden. Kinder, die konfirmiert werden sollten, mussten bei Bekannten oder Verwandten untergebracht werden, damit sie einen Konfirmandenunterricht besuchen konnten. Am 30. Mai 1880 konnte ein kleiner Betsaal eingeweiht werden. Er befand sich unter dem Dach im Eckhaus am oberen Ende der Mitteltorstraße zum heutigen Adenauerplatz.
Das Pfarramt Remlingen übernahm die gottesdienstliche und seelsorgerliche Betreuung der zu diesem Zeitpunkt etwa 170 Gemeindeglieder. Im Jahre 1886 schlossen sich die tatkräftigen evangelischen Männer zu einem Kirchbauverein zusammen, der schon 1895 sein Ziel erreichte. In diesem Jahr konnte der Grundstein zu einer Kirche gelegt werden. Die Konzeption der neugotischen Kirche sucht bis heute Ihresgleichen. Im Erdgeschoß des Kirchengebäudes wurden Wohnräume und ein größerer Saal für eine evangelische Schule vorgesehen, die man später einzurichten hoffte. Weit vorausschauend gestaltete man den im Obergeschoss liegenden Gottesdienstraum mit einem Platzangebot von anderthalbfacher Gemeindestärke.
Schon am 17. Mai 1896 wurde die Friedenskriche durch Dekan Beck von Würzburg eingeweiht. Die Baukosten betrugen 30.000,-Mark. Die Orgel wurde 1914, der Altar 1924 und ein Geläute mit drei Glocken 1925 eingerichtet. Die Zahl der Gottesdienste, die seit 1893 vom „Exponierten Vikar“ aus Lohr gehalten wurden, steigerte sich ab 1896 in der neuen Kirche von acht auf sechzehn. Das zuständige Pfarramt war Partenstein. 1919 wurde ein »Exponiertes Evangelisch-Lutherisches Vikariat Marktheidenfeld« errichtet. Die Gemeinde wuchs in den Folgejahren vor allem durch Zuzüge aus der rechtsmainischen „Grafschaft“ stetig an.
Nach dem 2. Weltkrieg hatten sich die Verhältnisse in der Gemeinde grundlegend gewandelt: Eine große Zahl von Evakuierten aus dem Ruhrgebiet – besonders aus Düsseldorf – war in Marktheidenfeld geblieben. Dazu kam die Flut der Heimatvertriebenen aus den deutschen Ostgebieten. Nun mußte Religionsunterricht außer in Marktheidenfeld auch in Homburg, Lengfurt, Erlenbach, Karbach und Rothenfels erteilt werden. Predigtstationen wurden in Rothenfels, Karbach und Lengfurt eingerichtet. Die Flüchtlinge bedurften nachgehender Seelsorge. Als Gemeindehelferin und katechetische Hilfskraft wurde im Sommer 1947 eine Diakonisse des Diakonissenmutterhauses Lehmgruben, Breslau, das auf dem benachbarten Schloß Triefenstein Zuflucht gefunden hatte, eingestellt.
Die Gemeinde wächst
Der Pfarrbezirk umfasst heute neben Marktheidenfeld die Orte Homburg, Lengfurt, Erlenbach, Tiefenthal, Marienbrunn, Windheim, Hafenlohr, Karbach, Zimmern, Rothenfels und Bergrothenfels.
Infolge des wirtschaftlichen Aufschwungs der Stadt Marktheidenfeld und ihrer Industrie wuchs die Gemeinde von 140 Gliedern im Jahr 1889 über 1320 im Jahr 1951 auf 1730 im Jahr 1962. Das Exponierte Vikariat wurde 1948 in ein Pfarramt umgewandelt. Der letzte Exponierte Vikar Leonhard Kollmer wurde der erste Stelleninhaber des neuen Pfarramtes. Mit großer Freude begrüßte die ganze evangelische Gemeinde 1950 den Zuzug des Heimatvertriebenen Mutterhauses Lehmgruben aus Breslau.
Jetzt mußte auch die Kirchengemeinde die Gunst der Verhältnisse nützen und notwendige Bauarbeiten ergreifen. Unter Pfarrer Karl Kögel wurde ein Pfarrhaus gebaut, das am 30. 10. 1955 durch Dekan Ludwig Roth aus Lohr eingeweiht wurde. Die Baukosten betrugen DM 65.000,-. In der freigewordenen Pfarrwohnung konnten Gemeinderäume und eine Mesnerwohnung eingerichtet werden.
Im Winterhalbjahr 1961/62 erfuhr der Kirchenraum eine gründliche Renovierung und Umgestaltung mit moderner Farbgebung, neuem Altar und neuer Kanzel. Im Jahr 1978 wurden im Untergeschoss der Kirche Jugend- und Gemeinderäume eingerichtet, sowie ein Tischtennisraum im Nebengebäude. In jüngerer Zeit stießen die vielfältigen Aktivitäten des Gemeindelebens immer öfter an ihre räumlichen Grenzen. Seit 1980 wird ernsthaft über den Bau eines Gemeindehauses nachgedacht. Ein Ereignis jedoch ließ den Traum vom Gemeindehaus ins Hintertreffen geraten:
Am 31. Oktober 1998 musste der Kirchenvorstand auf Veranlassung des Landratsamtes Main-Spessart die Schließung der Friedenskirche verhängen. Während das Platzangebot durch den Einbau weiterer Sitzbänke stetig gestiegen war, war die Ein- und Ausgangssituation seit 1895 unverändert geblieben: Die bis zu 250 Gottesdienstbesucher im Kirchenschiff mussten sich durch eine 110 cm breite Schiebetür zwängen; (Diesem Strom kamen dann noch bis zu 70 Besucher über eine schmale Stiege von der Orgelempore entgegen).
Es dauerte oft über 20 Minuten, bis alle Gottesdienstteilnehmer den Kirchenraum über die einzige bestehende Treppe verlassen konnten. Im Falle eines Brandes wäre die Kirche für dutzende Menschen zur tödlichen Falle geworden. Dies wurde von der Behörde ebenso wie von den Gemeindegliedern als ein untragbarer Zustand empfunden. Zur Schaffung eines zweiten Zugangs verfügte das Landesamt für Denkmalpflege ein eigenständiges Gebäude, das im modernen Stil in mindestens 5 Metern Abstand zur Denkmal geschützten Kirche stehen und mit einer Brücke verbunden werden sollte.
Der renommierte Architekturprofessor Klaus Trojan aus Darmstadt wurde mit der Konzeption eines Zugangsgebäudes beauftragt. Er entwarf einen lichtdurchfluteten, gläsernen Treppenturm, der in seiner Formgebung das 21. Jahrhundert willkommen heißt.- Baubeginn war Anfang Mai 1999, die Einweihung erfolgte am 22 Oktober 2000. Während der Bauzeit fand die Gemeinde in der Johanneskapelle des Diakonissenmutterhauses „Lehmgruben“ Zuflucht. Der Treppenturm umfasst neben der Treppe einen Aufzug für gehbehinderte Gottesdienstbesucher, eine Sakristei, die Heizanlage für das gesamte Gemeindehaus und eine reichlich bemessene Kommunikationsfläche zum Plaudern nach dem Gottesdienst.
Im Zuge der Baumaßnahme wurde gleich der Innenraum der Kirche renoviert, die elektrischen Anlagen erneuert und der gesamte Außenbereich des Kirchengrundstückes auch im Hinblick auf das geplante Gemeindehaus neu gestaltet. Die Gesamtkosten betrugen rund 900.000 DM.
In den 90er Jahren wurden vor allem Spätaussiedler aus der ehemaligen Sowjetunion in Marktheidenfeld ansässig, so dass die Zahl der Gemeindeglieder von 2200 im Jahr 1980 auf 2720 im Jahr 1997 anstieg. Ihr Anteil beträgt heute etwa 15 %. Insbesondere durch Firmengründungen und die Erweiterung der Schulen und des Kreiskrankenhauses stieg die Gemeindegliederzahl in den letzten Jahren bis heute auf 3200. Durch Ausweisung weiterer großer Industrie- und Wohngebiete und der Errichtung einer 2. Mainbrücke ist in den nächsten Jahren für Marktheidenfeld ein erneuter Bevölkerungszuwachs zu erwarten.
Durch ideale Wohnbedingungen in der Schul- und Einkaufsstadt Marktheidenfeld und wegen ihres hohen Freizeitwertes werden vor allem viele junge Familien angezogen.
Neben den gut besuchten, vielfältigen Gottesdiensten bringen zahlreiche unterschiedliche Gruppen und Kreise Leben in die Gemeinde. Darüber informiert der regelmäßig erscheinende Gemeindebrief, der in einer Auflage von 2400 alle Gemeindeglieder erreicht und somit für Information und Kontakt in der Kirchengemeinde sorgt. Zur katholischen Gemeinde bestehen sehr freundschaftliche Beziehungen. Intensive Begegnungen, besondere gemeinsame Gottesdienste und Jugendveranstaltungen geben davon ebenso Zeugnis, wie die ökumenischen Frauenkreise oder die ökumenische Männerrunde. Die „Ökumenische Sozialstation St. Elisabeth e.V.“ wird von verschiedenen Kirchengemeinden beider Konfessionen gemeinsam getragen, und gerne angenommen.
Einen Schwerpunkt legt die Evangelisch-Lutherische Kirchengemeinde Marktheidenfeld auf ein werbendes Angebot für Kinder und die Arbeit mit Konfirmanden. Sie verfolgt ein einladend-missionarisches Gemeindeaufbaukonzept.